Das Herdenschutzprojekt Südschwarzwald besuchte am 17. und 18. Februar 2025 gemeinsam mit den Ansprechpartnerinnen des Herdenschutzteams der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg die Fachstelle für Herdenschutz, Agridea, in Lindau (Deutschschweiz). Agridea fungiert in der Schweiz als unabhängige Wissensdrehscheibe für nachhaltige, bodenständige Lösungen in der Land- und Ernährungswirtschaft. Sie betreut die Bereiche technischer Herdenschutz sowie die Fachstelle Herdenschutzhunde (HSH). Neben dem Austausch mit Fachpersonen in der Agridea Zentrale wurden einige Praxisbetriebe besucht, um Erfahrungsberichte von Tierhaltern zum schweizerischen Herdenschutz zu sammeln.
Besuch beim Biolandbetrieb Guggenbüel
Beim Besuch des Biolandbetriebs Guggenbüel in Illnau standen Haltungssysteme, der Einsatz von HSH und die nachhaltige Milch- und Fleischproduktion mit Schafen im Fokus. Der Betrieb hält ca. 200 Milchschafe und zieht die Lämmer selbst auf. Die Betriebsleiter Sabrina Otto und Bruno Zähner verfolgen ein saisonales Konzept: Im Sommer befinden sich die Tiere zur Sömmerung auf der Alp in Valens, im Winter sind sie im Stall. Die Milchschafe werden im Herbst belegt, die Ablammungen finden im Winter statt. Über die kalte Jahreszeit wird gemolken; im Mai werden die Tiere trockengestellt und für 4–6 Monate auf der Alp gehalten.



Einsatz von Herdenschutzhunden: Mehr als Schutz
Ein zentrales Thema des Besuchs war der integrale Einsatz von HSH zum Schutz vor dem Wolf, dessen Präsenz in der Region der Sömmerungsalp des Betriebs Guggenbüel in Valens eine große Rolle spielt. Obwohl es bisher zu keinen Übergriffen kam, ist der Herdenschutz fest in der Betriebsphilosophie verankert. Die Pyrenäenberghunde (Patou) werden mit großem Verantwortungsbewusstsein gehalten. Die Hunde leben im Winter mit den Schafen im Stall in sozialen Gruppen, bestehend aus jungen und erfahrenen Hunden, und können sich im Stall frei zwischen den Schafen bewegen.
Der Betrieb Guggenbüel setzt auf zertifizierte HSH, durch die Einsatzbereitschaftsüberprüfung offizieller Herdenschutzhunde (EBÜ)
In der Schweiz werden Herdenschutzhunde (HSH) nach ihrer Ausbildung durch die EBÜ auf Einsatzfähigkeit geprüft. Ziel ist es, wesensfeste Hunde zu identifizieren, die ihre Schutzaufgabe instinktsicher und differenziert erfüllen und dabei keine Gefahr für fremde Menschen darstellen. Entscheidend ist die Unterscheidung zwischen natürlichem Schutzverhalten und problematischer Aggression, insbesondere gegenüber Menschen. Die Reaktionen des Hundes auf fremde Personen und Hunde werden sowohl im Einsatz an der Herde als auch außerhalb beurteilt. Das Bestehen der EBÜ ist Voraussetzung für die Anerkennung und Förderung als offizieller HSH.
Unverzichtbare Begleiter
Für den Betrieb sind HSH heute unverzichtbar. Sie bringen nicht nur Schutz, sondern auch Ruhe und Struktur. Ihre zutrauliche, aber entschlossene Art macht sie zu einem Bindeglied zwischen Tierhaltung, Naturschutz und alpiner Tradition.
Hohrüttihof: Andere Wege im Herdenschutz
Im Kontrast dazu steht der Hohrüttihof in Speicher, mit 150 Mutterschafen. Dort wird auf eigene HSH verzichtet. Im Winter sind die Schafe im Stall und auf umliegenden Weiden, im Sommer auf der Alp. Statt eigener Hunde werden während der Sömmerung geliehene Herdenschutzhunde eingesetzt; im Winter kommen Zäune und Netze zum Einsatz.
Stefan Gantenbein, Betriebsleiter des Hohrüttihofs, nennt als Grund das Zuteilungsverfahren für zertifizierte HSH in der Schweiz: Halter können sich nicht selbst einen Hund aussuchen, was für ihn essenziell wäre, da die Sympathie und das Zusammenspiel zwischen Mensch und Hund stimmen müssen. Für ihn ist eine funktionierende Mensch-Hund-Beziehung die Grundlage erfolgreichen Herdenschutzes.
Innovative Schutzmaßnahmen: Turbo Fladry
Die Delegation besuchte außerdem den Herstellungsort der speziell für Agridea entwickelten Turbo-Fladrys. Diese Flatterbänder mit stromführender Litze kommen ursprünglichen aus der skandinavischen Lappjagd und wurden vom Projekt „Wolves and Cattle“ im Kanton Waadt in den Sommern 2023 und 2024 getestet. Auf den gesicherten Flächen kam es trotz vorheriger Risse in der Umgebung zu keinen Wolfsangriffen. Die flatternden Bänder sollen beim Wolf Irritation und Unsicherheit auslösen und ihn vom Betreten der Fläche abhalten.
Turbo Fladry stellt eine Lösung dar, welche am gleich Standort nur für eine kurze Zeit eingesetzt werden kann, da sonst ein Gewöhnungseffekt beim Wolf eintritt. Auch für Rinderbetriebe mit Kleingruppen, Herden ohne Alttiere in Baden-Württemberg kann diese Maßnahme eine praktikable Ergänzung sein.

Fazit
Der Austausch mit Agridea sowie die Besuche der Betriebe Guggenbüel und Hohrüttihof zeigten die Vielfalt praxistauglicher Herdenschutzstrategien in der Schweiz. Der integrierte Einsatz von HSH erfordert Erfahrung, Verantwortungsbewusstsein und Feingefühl. Gleichzeitig wurde deutlich, dass nicht jeder Betrieb für eigene HSH geeignet ist – Alternativen wie geliehene Hunde, Zäune oder innovative Schutzmaßnahmen wie Turbo Fladry können sinnvolle Ergänzungen sein. Entscheidend bleibt ein individuell angepasstes Schutzkonzept. Die Erkenntnisse bieten wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung des Herdenschutzes im Südschwarzwald.